Command+Control+Q

Addie Wagenknecht, Waiting for Mister Right, Polystyrol, Eiweiß-Masse, Tropfkerzen, Blumen, 2017/2022, Ausstellungsansicht
Command + Control + Q, 2022, Ausstellungsansicht
Command + Control + Q, 2022, Ausstellungsansicht
Command + Control + Q, 2022, Ausstellungsansicht
Command + Control + Q, 2022, Ausstellungsansicht
Tabitha Swanson, Round and round and down below, Druck auf Kettsatin, 130 x 80 cm, 2022
Arno Beck, Mindcraft, Plotterzeichnung, 66 x 80 cm, 2022
Arno Beck, Vortex, Plotterzeichnung, 66 x 80 cm, 2022
Eelco Brand, KB.movi (Still), 3D Animation, Edition von 6, 2021
Eelco Brand, DR.movi (Still), 3D Animation, Edition von 6, 2020
Lorna Mills, Cannoli, Gif Collage, 2019
Lorna Mills, Cerbral Concrete, Gif Collage, 2019
Tabitha Swanson, ʂρσɳƚαɳҽσυʂ ԋυɱαɳ ƈσɱႦυʂƚισɳ, Druck auf Kettsatin, 2021
Tabitha Swanson, ཞɛąƖıɬყ ıʂ ąŋ ơცʂɬąƈƖɛ, Druck auf Kettsatin, 2021
Tabitha Swanson, 𝑅𝑜𝓊𝓃𝒹 𝒶𝓃𝒹 𝓇𝑜𝓊𝓃𝒹 𝒶𝓃𝒹 𝒹𝑜𝓌𝓃 𝒷𝑒𝓁𝑜𝓌, Druck auf Kettsatin, 2021
Tamiko Thiel and /p, ReWildAR, AR Installation, Edition von 5 + 1 AP, 2021 (Auftrag im Rahmen des175en Jubiläums des Smithsonian Instituts für die Ausstellung „FUTURES“)
Addie Wagenknecht, Self Portrait, Yves Klein Blau, CBD, Melatonin, Chanel Lippenstift Pigment mit Ölmedium auf Leinwand, 49 x 80 cm, 2020

Command + Control + Q

Arno Beck, Eelco Brand, Lorna Mills, Tabitha Swanson, Tamiko Thiel and /p, Addie Wagenknecht

Aktivieren Sie den Sperrbildschirm und verlassen Sie das Homeoffice. Der Titel der Ausstellung mag nahelegen, alle Bildschirmaktivitäten einzustellen. Er ist jedoch keinesfalls als Aufforderung zu verstehen, dem Digitalen den Rücken zu kehren. Arno Beck, Eelco Brand, Lorna Mills, Tabitha Swanson, Tamiko Thiel and /p und Addie Wagenknecht sensibilisieren mittels unterschiedlicher Strategien und Medien für digitale Kultur, Technologie und deren gesellschaftliche Implikationen. Ihre Arbeiten stehen exemplarisch für die Vielfalt dessen, was sich hinter dem dehnbaren Auffangbegriff Digital Art verbergen kann.

Addie Wagenknecht kleidet Abgründiges in Opulenz. Blumen drauf und Schminke drüber – wird schon gut gehen, oder? Die ewige Mädchenfantasie von Traumhochzeit und lebenslanger Liebe lässt Wagenknecht in Form einer Torte in sich zusammensacken. Nach dem Vorbild millionenfach gesehener, gespeicherter und geteilter Pinterest-Inspirationsaufnahmen überführt sie wie so viele vor ihr digtial-genährte Wunschvorstellungen in die physische Realität. Doch bei „Waiting for Mister Right“ ist die Party längst vorbei. Blüten verwelken, Kerzenwachs verschmiert die makellose Projektionsfläche.

Wagenknecht macht Geschlechterungerechtigkeit sichtbar. Ihre Beauty-Paintings bringen die Frau auf die Leinwand: abstrakt, bunt und als fragwürdigen Mix aus Kosmetikprodukten, Optimierungspillen, Rauschmitteln und verschreibungspflichtigen Medikamenten. „Self Portrait“ etwa birgt ein bisschen CBD, etwas Melatonin und ordentlich Lippenstift von Chanel – aufgetragen von einem eigens programmierten Staubsaugerroboter.

Für die Gif-Reihe „There are no girls on the internet” hat Wagenknecht sich durch hunderte Video-Chats geklickt, um herauszufinden, ob Frauen in anonymen Online-Communities tatsächlich so abwesend sind, wie es die titelgebene Redewendung naheliegt. Auf der Suche nach einem weiblich gelesenen Gegenüber begegnen Wagenknecht kauende Männer, zwinkernde Männer, Männer mit Nackenkissen oder Männer im Handtuch. Nach fünf Tagen Chatroulette & Co. hat sie Bilanz gezogen: Sie ist eine Frau, sie bewegt sich im Internet, doch Frauen werden im Internet nicht sichtbar.

Auch bei Tabitha Swanson wird die Realität zum Hindernis. In ihrer Werkreihe digital komponierter Mixed-Media-Arbeiten krümmen sich flauschig-nackte Körper mit toten Augen und weit aufgerissenem Mund am Abgrund, in Uferlosigkeit, im undefinierbaren Nichts. „ཞɛąƖıɬყ ıʂ ąŋ ơცʂɬąƈƖɛ“, „𝑅𝑜𝓊𝓃𝒹 𝒶𝓃𝒹 𝓇𝑜𝓊𝓃𝒹 𝒶𝓃𝒹 𝒹𝑜𝓌𝓃 𝒷𝑒𝓁𝑜𝓌“ und „ʂρσɳƚαɳҽσυʂ ԋυɱαɳ ƈσɱႦυʂƚισɳ“ sind 2021 im Lockdown entstanden. In einer Zeit, in der sich unser aller Lebensrealität vom Analogen zunehmend ins Digitale verschoben hatte, hat sich Swanson, die bis dahin fast nur digital gearbeitet hatte, entschieden, ihre Kunst off-screen zu zeigen.

Spontaneaous human combustion, die anlasslose Selbstentzündung des menschlichen Körpers ist ein pseudowissenschaftlicher Mythos, funktioniert hier jedoch als Bild für die stumm-schreiende Verzweiflung in Anbetracht eines einengend endlosen Schwebezustands. Auf dezent-transparentem Stoff gedruckt, gehängt im lichtdurchfluteten Raum werden düstere Emotionen in Ambivalenz erfahrbar. Was aus der Nähe ausweglos wirkt, wird mit Distanz als gestaltbar relativiert.

“Uno depressi por favor”? Arno Beck hätte da jedenfalls die passende Tasse parat. Der Wortwitz ist das nicht mehr ganz so geheime Talent des Künstlers, dessen Steckenpferd eigentlich die analoge Umsetzung digitaler Bildwelten mittels Maschinen ist. Becks Arbeiten transportieren kindliche Gefühle von Zärtlichkeit im Bann des Familien-PCs. Er nennt das „Nowstalgia“, Retrokultur als Zeitgeist-Phänomen, sieht sich und seine künstlerischen Praxis darin jedoch nicht verhaftet.

Becks computergenerierte Plotterzeichnungen „Mindcraft“ und „Vortex“ erinnern pixelig an frühe Microsoft-Paint-Exzesse, sind aber eben alles andere als unkoordiniert intuitiv analog umgesetzt. Beck bezieht die Funktionsweise des Computers in seinen zeitintensiven Zeichenprozess mit ein. Er nennt es Malerei auf Umwegen. Obsession verkauft er geschickt als diszipliniertes Spielen und garantiert so ein freudvolles Erleben technischer wie handwerklicher Präzision.

Autounfälle und Penetration – das Internet ist voll davon und man könnte entsprechende Clips als überflüssigen Netz-Schmutz abtun. Doch Lorna Mills taucht leidenschaftlich ein in die Bilderflut scheinbarer Belanglosigkeiten, sammelt auf dubiosen Plattformen Absurditäten wie Trophäen. Sie dekontextualisiert das Material und collagiert daraus groteske Mini-Spektakel, mechanisch zuckend im Loop.

Wie bei Beck spielen auch bei Mills Pixel als Bausteine digitaler Bilder eine zentrale Rolle. Sie kreiert Gifs, die ob des Formats vertraut, ob ihrer Gestaltung aber ganz anders lesbar werden, als die verbreiteten Reaction-Snippets, die sich längt unkompliziert per Messenger-Suchleiste verschicken lassen. Mills Arbeiten sind uneindeutig, gleichermaßen fesselnd wie verstörend.

Im Titel als gemüselastiges Nudelgericht getarnt serviert sie mit „Linguine Primavera“ Pornographisches im Blumenmeer. Irritierend findet die Künstlerin selbst dabei nicht etwa den hoppelnden Hodensack, sondern die winzigen Füße im Bild. Mills Arbeiten vermitteln eine so pure Freude an vermeintlichen Unanständigkeiten, dass es schwerfällt, Anstoß an den Bildern zu nehmen. In „Cannoli“ wird eben sizilianisches Gebäck befüllt. Beschämt verbleibe, wer anderweitig assoziiert.

Geradezu meditativ wirken im Vergleich dazu die 3D-Animationen von Eelco Brand. Am Computer baut er Naturerlebnisse, die nur im Innehalten zu verarbeiten sind. Brand gibt einen Rhythmus aufdringlicher Entschleunigung vor, wenn er Disteln aufblühen und Tautropfen von Geäst perlen lässt. Der Realität verwandt, der Fantasie des Künstlers entwachsen wirken seine Arbeiten in einen Moment wohlig vertraut, im nächsten trügerisch.

Pflanzen wirken bei Brand echter als echt, wie hyperrealistische Malerei in Bewegung. Im Detail offenbart sich eine bestechende Eleganz, die die Täuschung vergessen lässt. Doch Brands imitierte Natur ist nicht optimierte Natur, sondern kann als Einladung verstanden werden, den Einsatz von Technologie als wahrnehmungsverändernd zu begreifen.

Ganz in diesem Sinne entwerfen Tamiko Thiel and /p ein Zukunftsszenario, das anders als so viele andere, nicht ausweglos, sondern unbedingt begehrenswert erscheint. Ihre Augmented-Reality-Arbeit „ReWildAR“ überzieht urbane Struktur mit weiß blühendem Hornstrauch und Seidenpflanzen. Auf einer Wildblumenwiese von überwältigender Schönheit lassen sich Sandbienen und Monarchfalter nieder.

Die unmittelbare Gegenwart des Hier und Jetzts transformieren Thiel and /p zu dem, was sein könnte, ja, sein muss: eine symbiotische Beziehung von Pflanzen und Tieren als notwendige Grundlage biodiverser Ökosysteme, die in Anbetracht der Klimakrise von nachhaltiger Bedeutung für die Menschheit sind.

„ReWildAR“ ist ein Vorschlag für die Wiederherstellung eines möglichst naturnahen Zustands dort, wo die Natur kaum noch eine Chance zu haben scheint. Über verschiedene Screens wird die abstrakte Utopie konkret denkbar – eine Vision, auf die es sich gezielt hinarbeiten lässt.

Die Arbeiten von Arno Beck, Eelco Brand, Lorna Mills, Tabitha Swanson, Tamiko Thiel and /p und Addie Wagenknecht liefern Hinweise darauf, wie das Digitale unsere Denkweisen geprägt hat. Computer und Coding sind für sie Medium wie Werkzeug, das Jetzt zu beschreiben, dem Ist-Zustand kritisch zu begegnen, ohne Schönheit und Spiel von der Betrachtung auszunehmen, und unter Ausschöpfung technologischer Möglichkeiten der Gegenwart die Potenziale der Zukunft spürbar werden zu lassen.

Drücken Sie Befehl + Steuerung + Q und überzeugen Sie sich selbst.

(Text: Anna Meinecke)

Öffnungszeiten
26. Februar – 30. April 2022
Mittwoch – Freitag: 13 – 18 Uhr
Samstag: 12 – 16 Uhr
Und nach Vereinbarung

Adresse
DAM Projects
Horstweg 35
14059 Berlin